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Wissenswertes über den italienischen Strafprozess

24 März 2018, Nicola Canestrini

Wissenswertes über den italienischen Strafprozess: Wahlverteidigung, Pflichtverteidigung und Prozesskostenhilfe, Festnahme und Haft, der Prozess: Abschluss der Ermittlungen, Vorverhandlung, Hauptverfahren und Sonderverfahren, Beschlagnahme und Einziehung,Vollstreckungs- und Überwachungsverfahren, Auslieferung.

 

1. ALLGEMEINES (WAHLVERTEIDIGUNG, PFLICHTVERTEIDIGUNG UND PROZESSKOSTENHILFE)

Wer von einem strafrechtlichen Verfahren erfasst wird, hat das verfassungsrechtlich verankerte Recht auf angemessene anwaltliche Vertretung (Strafverteidigung); es besteht Verteidigungspflicht mittels eines Anwaltes, da die Selbstverteidigung in Italien im Strafprozess nicht erlaubt ist.

Das Recht auf Verteidigung umfasst:

  • einen Dolmetscher, wenn der Betroffene vor Gericht oder mit dem Anwalt sich nicht ausreichend verständlich machen kann: gemaess der Verfügungen vom gesetzesvertredendem Dekret vom 4. März 2014, welches in Durchführung der EU Richtlinie 2010/64/UE  uber Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren erlassen wurde, ist das auf Recht Dolmetschleistungen und Übersetzungen kostenfrei;
  • einen Verteidiger, da sich der Betroffene nicht selbst verteidigen kann und darf;
  • die Bereitstellung von Staats wegen, wenn der Betroffene aus tatsächlichen oder finanziellen Gründen keinen Verteidiger oder Dolmetscher wählen kann.

Ein Angeklagter hat das Recht, seinen Rechtsanwalt frei wählen zu dürfen: falls kein Vertrauensverteidiger benannt wird, wird ein Pflichtvertidiger zugewiesen, der allerdings vom Betroffenen bezahlt werden muss, es sei denn, es besteht Recht auf Prozesskostenhilfe.

Pflichtverteidiger sind also NICHT automatisch vom Staat bezahlt.

Die Wahl des Vertrauensverteidigers kann bei der Festnahme / Verhaftung seitens der Polizei oder bei der Inhaftierung erfolgen und wird in einem Protokoll festgehalten; vorsorglich sollte der Betroffene auch dem Vetrauensverteidiger die Wahl mitteilen (z.B. durch Brief, Fax oder Telegramm, oder über den Seelsorger), da die Polizeibehörde die Benennung nicht immer dem benanntem Vertrauensverteidiger mitteilt.

Hat er keinen eigenen Anwalt, wird von Amts wegen sofort ein Pflichtverteidiger benannt (deren Kostenvom Beklagten zu tragen sind, es sei denn, er hat Recht auf Prozesskostenhilfe) und dieser darüber verständigt.

Die Kosten des Wahl- und des Pflichtverteidigers sowie die Gerichtskosten müssen im Falle einer Verurteilung privat gezahlt werden (siehe Anwaltskosten in Italien); Recht auf Rückerstattung der Verteidigungskosten bei Freispruch in einem Strafprozess gibt es in Italien (leider) nicht.

Der Betroffene kann bei Mittellosigkeit dem Gericht einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (s. Prozesskostenhilfe) stellen; es ist zu beachten, dass Ausländer für die Prozesskostenhilfe als Nachweis ihrer ausserhalb Italiens erzielten Einkünfte eine selbstgefertigte Aufstellung dieser Einkünfte nebst einer Bestätigung ihrer zuständigen Auslandsvertretung in Italien beilegen müssen, die bestätigt, dass nach bestem Wissen der Vertretung die abgegebene Erklärung richtig ist (falsche Aussagen werden strafrechtlich verfolgt).

Wird der Betroffene verurteilt, stehen nebst Anwaltskosten, Schadensersatz (bei eingelassenen Nebenklägern) Gerichtskosten (Spesen die im Verfahren angefallen sind, wie z.B. Gutachter oder die Kosten der telefonischen Abhörungen) und Verpflegungskosten in der Haft an; im Falle des Freispruchs trägt der italienische Staat die Gerichtskosten, aber nicht die die Anwaltskosten (die somit der Freigesprochene selbst tragen muss, es sei denn, er hat die Prozesskostenhilfe verlangt und zugesprochen bekommen).

Falls jemand vermutet, unter polizeilichen Ermittlungen zu stehen, kann der territorial zuständigen Staatsanwaltschaft ein Antrag auf Mitteilung der Eintragung ins Register für die Nachrichten über strafbare Handlungen (Ermittlungsregister) gestellt werden: es handelt sich dabei um ein im Sekretariat der Staatsanwaltschaft eingerichtetes Register, in das von Gesetzes wegen jede Person eingetragen wird, gegen die ein Ermittlungsverfahren durchgeführt wird.

Die Antwort ist jedoch nicht immer verlässlich, da der Staatsanwalt bei besoders schwerwiegenden Vorhaltungen die Mitteilung verhindern kann.

1.b Zustellungen ins Ausland und Strafverfahren in Italien (Art. 169 it. StPO)

Wenn die Staatsanwaltschaft weiß, dass sich der Beschuldigte im Ausland befindet, und die Adresse kennt (oder durch ein rechtshilfeverfahren in Erfahrung bringt), kann die Benachrichtigung, mit welcher die Person über die Anhängigkeit eines Strafverfahrens informiert wird, per Post zugestellt werden. Mit diesem Schreiben wird der Beschuldigte aufgefordert, ein Verfahrensdomizil, d.h. eine Anschrift, auf italienischem Boden für die nachfolgenden Zustellungen zu wählen.

Es braucht lediglich eine Vertrauensperson in Italien (Anwalt, Verwandter oder auch Freund, ..), Wohnsitz oder dauerhafte Bleibe in Italien des Angeklagten ist NICHT notwendig (persönliche Anwesenheit während des Prozesses ist in Italien nicht vorgeschrieben). 

Wenn der Beschuldigte nach 30 Tagen keine Zustellungsanschrift in Italien wählt, wird ein/e Pflichtverteidiger/in bestellt, an die/den die notwendigen Zustellungen erfolgen; der Proyess lauft also in absentia weiter, und der Beschuldigte erfährt nur im Falle einer Verhaftung den Prozessausgang.

  

2. FESTNAHME: WAS TUN?

Im Fall einer Verhaftung ("arresto") hat der Betroffene zunächst das Recht, dass von der Polizeibehörde eine Vertrauensperson / die Botschaft benachrichtigt wird; der Verteidiger (sei es Wahl- oder Pflichtverteidiger) wird trotz prozessrechtlicher Vorschrift nicht immer sofort benachrichtigt und sollte deshalb von der Vertrauensperson oder vom Festgenommenen auch benachrichtigt werden.

In der Haftanstalt geschieht dies mittels Antrag ("domandina") über das Sekretariat ("ufficio matricola").

Vom Schweigerecht sollte vor der Polizeibehörde unbedingt Gebrauch gemacht werden, um nach anwaltlicher Beratung und Akteneinsicht dem zuständigen Richter im Zuge der Haftbestätigungsverhandlung (welche zwingend innerhalb 96 Stunden ab Festnahme erfolgen muss) oder vor dem Staatsanwalt überlegte Aussagen machen zu können.

Ein Dolmetscher sollte immer verlangt werden, da ansonsten die Kenntnis der italienischen Sprache für das gesamte Verfahren unterstellt werden kann. Falls der Beweis der Unkenntnis der it. Sprache vorliegt, hat der Angeklagte das Recht auf Übersetzung der wichtigsten Unterlagen (Anklageschrift, Urteil, ...) im gesamten Prozess.

Als Faustregel gilt zudem, nichts zu unterschreiben. Recht auf Aushändigung der (nicht unterschriebenen) Unterlagen besteht trotzdem.

 

3. WEITERES VERFAHREN UND HAFT

Die polizeiliche Festnahme muss innerhalb 48 Stunden seitens der Staatsanwaltschaft ("Procura della Repubblica") bestätigt werden; sollte offensichtlich werden, dass die Festnahme wegen eines Personenirrtums oder ausserhalb der vom Gesetz vorgeschriebenen Fälle erfolgt ist, oder diese unwirksam geworden ist, kann die Staatsanwaltschaft in diesem Zeitraum die sofortige Entlassung anordnen.

Andernfalls muss der zuständige Staatsanwalt ("pubblico ministero") bei dem Ermittlungsrichter ("giudice per le indagini preliminari" oder "GIP") die Festsetzung einer Verhandlung für die Haftprüfung beantrage, welche innerhalb weiterer 48 Stunden zu erfolgen hat; in dieser Verhandlung wird auch über die Verhängung einer vorbeugenden Massnahme (wie z.B. Untersuchungshaft) entschieden.

Die Vorführung vor dem Richter (habeas corpus) muss deshalb innerhalb von 96 Stunden ab der Festnahme erfolgen (48 + 48 Stunden). Werden diese Fristen nicht eingehalten, ist die Verhaftung unwirksam.

Der Ermittlungsrichter kann bei der Verhandlung die Festnahme entweder bestaetigen oder (selten) für nicht legitim erklären.

In beiden Fällen kann der Ermittlungsrichter auf Antrag der (selten bei der Verhandlung anwesenden) Staatsanwaltschaft bei Vorliegen schwerwiegender Schuldindizien und der gesetzlichen Fälle eines Vorbeugebedarfs (Flucht-, Wiederholungs- oder Verdunkelungsgefahr) die Anwendung einer Zwangsmassnahme wie Untersuchungshaft oder Hausarrest anordnen.

Innerhalb von 10 Tagen ab der Verhängung der Zwangsmassnahme kann das Überprüfungsgericht (auch "Freiheitsgericht" genannt: "Tribunale del riesame" oder "Tribunale delle libertà") angegangen werde, um die Überprüfung der Zwangsmassnahme zu beantragen.

Sollte auch dieses bei der Verhandlung die Haft bestätigen, muss damit ausgegangen werden, dass sich der vorläufige Freiheitsentzug über längere Zeit hinausziehen kann.

Die Familie kann mit schriftlichem Antrag (mit beiliegendem Familienbogen) bei der Justizbehörde das Besuchsrecht beantragen.

Ein Antrag auf Freilassung oder Abschwächung der Zwangsmassnahme (z.B. Hausarrest statt U-Haft) ist jederzeit bei neuen Elementen möglich; die Prüfung kann aber vom Richter nicht von Amts wegen eingeleitet werden. Gegen eine erstinstanzliche Abweisung kann immer das Überprüfungsgericht angegangen werden.

Die Untersuchungshaft hat je nach vorgehaltener Straftat eine für jede Verfahrensphase (Ermittlungen, erster Grad, Berufung,..) eine zeitlich beschränkte Dauer (bei Vorhaltung von Drogenabgabe kann die Untersuchungshaft während der Ermittlungen bis zu einem Jahr dauern).

Während der (zeitlich de facto fast unbegrenzten) Ermittlungen gilt das Ermittlungsgeheimnis; Recht auf Akteneinsicht ist in der Regel bis zum Abschluss der Ermittlungen nicht möglich (Ausnahmefall: Antrag auf Freiheit vor dem Überprüfungsgericht) .

Nicht unerwähnt bleiben dürfen in diesem Zusammenhang die Ermittlungen des Verteidigers, wonach der Strafverteidiger selbst berechtigt ist, Ermittlungen zu führen, um Beweiselemente "zu Gunsten des eigenen Mandanten" zu suchen und festzustellen. Der Verteidiger kann so z.B. Zeugen anhoeren oder (in begrenzten Fällen) Dokumente beantragen; nicht erlaubt ist es allerdings, solche Ermittlungen im Ausland durchzuführen (wobei allerdings die Europäische Ermittlungsanordnung EEA aushelfen könnte, die seit Juli 2017 in die it. Rechtsordnung aufgenommen wurde).

Etwaige Beweiselemente zu Lasten des Mandanten müssen vom Verteidiger zwar aufgenommen, aber nicht offen gelegt werden. Diese von der Verteidigung beeideten Ermittlungsergebnisse koennen auch für einen Antrag auf Freilassung verwendet werden; überlegt sich die Verteidigung ein Sonderverfahren (s. unten), sind sie fast unentbehrlich. 

 

4. DER PROZESS: ABSCHLUSS DER ERMITTLUNGEN, VORVERHANDLUNG UND HAUPTVERFAHREN

Nach Abschluss der Ermittlungen wird - soweit der Staatsanwalt nicht die Einstellung ("archiviazione") des Verfahrens beantragt - ein entsprechender Hinweis zugestellt ("avviso di conclusione delle indagini preliminari", auch nach dem Paragrafen der StPO einfach "415bis" genannt) und Akteneinsicht gewährt; der Staatsanwalt muss den Angeklagten vorladen, falls dieser es binnen 20 Tagen nach der Zustellung des Hinweises des Abschlusses der Ermittlungen verlangt.

Daraufhin wird mit der Anklageerhebung des Staatsanwaltes die sog. Zwischenverhandlung oder Vorverhandlung eingeleitet ("udienza preliminare"): bei der Vorverhandlung wird vor einem neuen Richter ("giudice per l'udienza preliminare" oder "GUP") die Notwendigkeit auf ein (in der Praxis fast automatisches) Hauptverfahren geprüft, es sei denn, der Angeklagte oder sein spezialbevollmächtigter Verteidiger verlangen ein Sonderverfahren (s. Unten). Bei kleineren Straftaten (Höchststrafe unter 4 Jahren Haft) fehlt die Vorverhandlung und der Staatsanwalt beantragt mit der Anklageerhebung das Hauptverfahren.

Falls das Hauptverfahren verordnet wird, verlieren bestimmte in den Ermittlungen gesammelte Beweiselemente ihre Verwertbarkeit und müssen, um für das Urteil relevant zu sein, vor dem Richter neu eingeholt werden (so z.B. die Aussagen der polizeilichen Amtsträger, die Aussagen der Zeugen, die Niederschriften der Abhörungstätigkeit).

In der Hauptverhandlung gilt bei der Beweisaufnahme das Prinzip des rechtlichen Gehörs und im Allgemeinen jenes des gerechten Verfahrens.

Das Landesgericht besteht je nach schwere Straftat aus einem einzelnen Richter, drei Richtern (Senat) oder acht Richtern (Schwurgericht), wie vom Gesetz vorgegeben: der Prozess kann bei vielen Verhandlungen, die alle mittels Stenotipie dokumentiert werden, auch mehrere Jahre dauern.

Der Angeklagte hat in Italien das Recht, nicht dem Prozess beizuwohnen (man spricht dabei von einem Prozess in Abwesenheit ("processo in contumacia" jetzt: "processo in assenza": dieses Institut ist anderen Rechtssystemen weitgehend unbekannt und bringt deshalb einige Schwierigkeiten, z.B. bei der internationalen Vollstreckung, mit sich) und der Angeklagte ist von seinem Verteidiger vertreten; ist gegen den Verfolgten ein Abwesenheitsurteil ergangen und hatte er von den im Verfahren anstehenden Hauptverhandlungsterminen keine Kenntnis, war für viele Nachbarstaaten vor dem Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (in der Fassung aufgrund Änderung von 2009) eine Auslieferung aufgrund des Abwesenheitsurteils unzulässig.

Das Recht auf Beweisaufnahme besteht in vollem Ausmasse nur in der ersten Instanz und unterliegt zeitlichen Fristen (die Namen der Zeugen müssen z.B. vor der Hauptverhandlung vorgelegt werden, um das Recht des Angeklagten auf Ladung und kontradiktorische Befragung von Zeugen ausüben zu können).

Bei Verurteilung ist die Durchführung der Strafe bis zur Rechtswirksamkeit aufgehoben (Schadensersatzzahlungen können allerdings auf Antrag des Nebenklägers vorläufig für vollstreckbar erklärt werden); ordentliche Rechtsmittel sind Berufung vor dem Oberlandesgericht ("Corte di Appello") und Kassationsbeschwerde vor dem Obersten Gerichtshof in Rom ("Corte di Cassazione").

Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil auch in meritorischer Hinsicht in dem Umfang, in dem es angefochten wurde. Hat also z.B. der Angeklagte seine Berufung auf bestimmte Beschwerdepunkte (etwa auf das Strafmaß) beschränkt, so werden auch nur diese Beschwerdepunkte überprüft. Soweit die Berufung für begründet befunden wird, hat das Berufungsgericht unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils in der Sache selbst zu entscheiden. Das Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn nur der Angeklagte Berufung eingelegt hat.

 

5. (...) SONDERVERFAHREN

Die italienische Strafproessordnung kennt in diesem Zusammenhang 2 Sonderverfahren:

  • die Strafzumessung ("patteggiamento")
  • das abgekürzte Verfahren ("giudizio abbreviato").

Beiden Verfahrensarten ist gemeinsam, dass keine Hauptverhandlung durchgeführt wird und deshalb die polizeilichen Ermittlungen als Beweise voll verwertbar sind (wie allerdings auch die Ermittlungen des Verteidigers). Auch deshalb muss die Wahl der Sonderverfahren mit dem Verteidiger sorgfältig besprochen werden.

Die Strafzumessung basiert auf der Idee der konsensualen Verfahrenserledigung: es handelt es sich um einen Vergleich zwischen beschuldigter Partei und Staatsanwaltschaft bezüglich des Verfahrens und der Strafe. Angeklagten, die ganz oder teilweise darauf verzichten, ihre Verteidigungsrechte wahrzunehmen, verspricht das Gesetz eine Verminderung der Strafe um 1/3 sowie weitere Vorteile (keine Verfahrenskosten, ...). In der Praxis kann mit der Strafzumessung auch die Freiheit "eingehandelt" werden. Die Strafzumessung wir mit de Anklage vereinbart, bedarf allerding der richterlichen Genehmigung. Diese wird erteilt, wenn der Richter die rechtliche Qualifikation des Sachverhaltes, die anzuwendende Strafnorm, die von den Parteien vorgeschlagene Würdigung der (mildernden oder erschwerenden) Umstände sowie die vorgeschlagene Strafe als korrekt betrachtet. Die Strafzumessung und wird in der Form eines Urteils gesprochen und kann nur vor dem Kassationsgericht in sehr engem Masse beanstandet werden.

Das abgekürzte Verfahren kann hingegen mit einer Hauptverhandlung verglichen werden, bei der die Vorlage neuer Beweise grundsätzlich ausgeschlossen ist, da die Entscheidung aufgrund der in den Akten der Staatsanwaltschaft vorhandenen Beweismittel (und jene, die die Verteidigung gesammelt hat) ergehen muss. In Falle der Verurteilung wird wiederum eine Verminderung der Strafe um 1/3 vorgesehen; Rechtsmittel sind Berufung und Kassationsbeschwerde.

Im Zweifelsfalle muss das Gericht den Beschuldigten freisprechen (in dubio pro reo); wird eine Haftstrafe unter 2 Jahren verhängt, kann diese bedingt ausgesetzt werden. Es erfolgt in diesem Falle die Freilassung und die Strafe erlischt, falls der Betroffene in den darauffolgenden 5 Jahren keine Straftat mehr begeht; ansonsten wird muss auch die bedingt ausgesetzte Strafe nachgeholt werden (und Wiederholungstätern droht ein straferschwerender Umstand).

 

6. BESCHLAGNAHME UND EINZIEHUNG

Die Gerichtsbehörde ordnet die Beschlagnahme der zur Straftat gehörigen Sachen an (z.B. aufgefundenes Rauschgift, Geld, ...), die zur Feststellung der Tatsachen notwendig sind (z.B. Mobiltelefon), oder wenn die freie Verfügbarkeit über eine Sache, die zur strafbaren Handlung gehörig ist, deren Folgen verschärfen oder andauern lassen oder die Begehung anderer Straftaten fördern kann (z.B. verwendete Schusswaffe). Der Richter kann darüber hinaus die Beschlagnahme von Sachen verfügen, deren bei rechtswirksamer Verurteilung endgültige Einziehung vorgesehen ist. Der Betroffene und sein Verteidiger sowie die Personen, deren Sachen beschlagnahmt worden sind, und jene, die einen Anspruch auf deren Rückgabe hätten, können einen Antrag auf Ãberprüfung der Beschlagnahme stellen.

Sofern die Beschlagnahme zu Beweiszwecken nicht mehr erforderlich ist, weil z.B. eine Begutachtung hierüber bereits erfolgt ist, können die Sachen von der ermittelnden Staatsanwaltschaft oder dem Ermittlungsrichter auf Antrag oder von Amts wegen bereits im Ermittlungsverfahren zurückgegeben werden. Andernfalls erfolgt die Rückgabe mit dem freisprechenden oder auf Einstellung des Verfahrens lautenden Urteil. Kommt es zu einer Verurteilung, so dauern die Wirkungen der Beschlagnahme fort, wenn die Einziehung der beschlagnahmten Sachen angeordnet wird oder diese zur Sicherung bestimmter Forderungen dient.

 

7. VOLLSTRECKUNGS- UND UEBERWACHUNGSVERFAHREN

Ist das Urteil rechtskräftig, beginnt das Vollstreckungsverfahren, welches der Staatsanwaltschaft unterliegt. Der Vollstreckungsrichter wird nur bei Beanstandung der Entscheidung des Staatsanwaltes eingeschalten.

Ist der Verurteilte zum Zeitpunkt der Unwiderrufbarkeit in Haft, so geht die vorläufige Untersuchungshaft mit dem Vollstreckungsbefehl ("ordine di esecuzione") in Strafvollzug über.

Ist der Verurteilte frei, so muss unterschieden werden, ob die noch abzusitzende Reststrafe unter einem bestimmten Masse liegt (im Normalfall unter 3 Jahren). Falls das Strafausmass darüber liegt, wird die Festnahme angeordnet, ansonsten hat der Betoffene 30 Tage ab Zustellung des Haftbefehls Zeit, einen Antrag auf haftersetzende Massnahme ("misura alternativa alla detenzione") zu stellen. Eine Wohnung und eine Arbeit in Italien sind dazu notwendig, die Entscheidung wird vom Ãberwachungsgericht ("Tribunale di Sorveglianza") getroffen.

 

8. INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT: DIE AUSLIEFERUNG

Das Auslieferungsverfahren dient dazu, einen Angeklagten oder mutmasslichen Straftäter der nationalen Gerichtsbarkeit des ersuchenden Staates zuzuführen (wie Schweiz, Deutschland, Österreich), wozu es seiner körperlichen Überstellung aus dem ersuchten Staat (hier: aus Italien) bedarf.

Das Auslieferungsverfahren entsteht indem ein ausländischer Staat Itailen mittels förmlichen Ersuchens um die Auslieferung einer bestimmten Person zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung ersucht oder der ausländische Staat gegen die Person einen internationalen Haftbefehl erlassen hat.

Aber auch das Vorliegen eines Europäischen Haftbefehls oder einer Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) genügt zum Erlass eines Auslieferungshaftbefehls.

Wird diese Person dann in Italien aufgegriffen, so kommt das Auslieferungsverfahren in Gang.

Innerhalb Europas und im Verhältnis zu Israel gilt das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 iVm dem Zweiten Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 sowie hierzu ergänzend getroffene (verschiedene) bilaterale Zusatzverträge (Deutschland, Niederlande, Österreich, Schweiz, Tschechische Republik und Polen).

Hinzu kommt noch das Schengener Durchführungsübereinkommen und das neu geschaffene EU-Übereinkommen zum Auslieferungsverfahren und seiner Vereinfachung.

Natürlich wird das Auslieferungsverfahren in der EU vom Europäischen Haftbefehl ersetzt, wobei die Identitätskontrolle in Italien nicht der Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes entspricht (BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015, Az. 2 BvR 2735/14).

Das Oberlandesgericht ("Corte di appello") ist in EU Haftbefehl und Auslieferungsverfahren das zuständige Gericht. Es entscheidet über die Übergabe und Auslieferung des Betroffenen durch Beschluss (gerichtliches Zulässigkeitsverfahren). Dem gerichtlichen Zulässigkeitsverfahren folgt das Bewilligungsverfahren. Die Zuständigkeit liegt hier beim Justizministerium und ist ein reines Verwaltungsverfahren.

Der Betroffene sollte sich in dieser Situation eine Grundsätzliche Frage stellen:

"Möchte ich so schnell wie möglich eine Prüfung der Sache (vorgeworfene Straftat) selbst oder möchte ich die Auslieferung in den ersuchenden Staat vermeiden"?

Von der Beantwortung dieser Fragen ist die Strategie der Verteidigung in Auslieferungsverfahren abhängig. Der Betroffene muss sich vor Augen führen, dass das italienische Gericht im förmlichen Auslieferungsverfahren nur prüft, ob der ersuchende Staat die Begehung einer auslieferungsfähigen Straftat schlüssig behauptet.

Sind die Auslieferungsunterlagen evtl. unvollständig oder besteht weiterer Aufklärungsbedarf, so kann dem ersuchenden Staat deren Ergänzung aufgegeben werden; auch ist dem Betroffenen vor einer Entscheidung des OLG rechtliches Gehör zu gewähren.

Das Gericht prüft jedoch nicht, ob der Betroffene tatsächlich Täter oder Teilnehmer der genannten Straftat ist.

Das OLG muss "lediglich" die materiellen Auslieferungsvoraussetzungen prüfen. Sollte sich der Betroffene dafür entscheiden, alles zu tun um NICHT ausgeliefert zu werden, so eröffnet sich hier dem Strafverteidiger ein breites Betätigungsfeld (Auslieferungshindernisse müssen sorgfältig überprüft werden).

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Weiterführende Literatur: "Das italienische Strafgesetzbuch. Italienisch-deutsche Ausgabe", Roland Riz, Athesia Verlag, 1994, ISBN/EAN:978-88-7014-802-2 (leider im besonderne Teil weitgehend überholt).

Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren

 Stand: September 2017